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Angewandte Soziologie: Die zwei Gesichter der Arbeit

Wenn wir über Klassiker der Soziologie reden, dann reden wir unter anderem über Pierre Bourdieu. Bekannt durch Konzepte wie „soziales Kapital“, „Milieu“ und den „Habitus“ Begriff ist Bourdieu ein zeitgenössischer Soziologe, dessen Ergebnisse zu globalen Diskussionen geführt haben. Reden wir heute in Deutschland über die Reproduktion der Elite, oder der Abhängigkeit der Karriere von dem sozioökonomischen Background der Menschen, dann ist es klug sich mit Bourdieus Thesen auseinanderzusetzen. Den Anfang seiner gesellschaftlichen Analysen macht Bourdieu während seines Kriegsdienstes in Algerien. In seinem Werk „Die zwei Gesichter der Arbeit“ analysiert er dabei das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Einzelnen. Die Untersuchungen beziehen sich auf Forschungsergebnisse aus der Kabylei, die dort ansässigen Kabylen leben im Norden Algeriens. Charakteristisch für diese eher bergige Region waren und sind die eher einfachen Bedingungen mit der die Gesellschaft lebt. In diesem Sinne gibt es nicht allzu viel zu tun, die Bergregion erhält sich selbst, das heißt es gibt in dem Sinne keine Arbeit, Arbeit hat hier allen voran eine gesellschaftliche Funktion. D.h., wenn beispielsweise den ganzen Tag ein Löffel geschnitzt wurde war weniger die Produktivität der Schnitzerei oder die Qualität des Löffels interessant, als vielmehr der Schwerpunkt auf dem Ausdruck des Motivs etwas für die Gemeinschaft beizutragen. Was damit zusammenhängt wurde erst bewusst, nachdem im Zuge der Besetzung Algeriens durch Frankreich die flächenweite Einführung kapitalistischer Marktgesetze gültig wurde. Dabei bezeichnet er das alte vorherrschende System als „vorkapitalistisch“ und differenziert es von dem eingeführten „kapitalistischen System“. Die Einführung barg für die traditionsbewussten Kabylen viele Schwierigkeiten. Das System wiedersprach der kabylischen Art zu Denken und zu Handeln. Die vorkapitalistische Zeit ist geprägt durch ein Leben mit der Natur, der Wahrung des Gegebenen und eine enge Bindung an eine Mystik. Es herrscht eine intakte, von Traditionen geprägte, Gesellschaft. Im Mittelpunkt der ökonomischen Handlungen steht dabei der Tausch, der auf Gabe und Gegengabe beruht. Daraus resultieren zwei unabhängige voneinander bestehende Handlungen, die zeitlich voneinander getrennt sind. Die Arbeit, als eine mögliche Einheit der Gabe hat dabei einen traditionellen Wert. Auch wenn Arbeit in der kabylischen Gesellschaft nicht immer mehr als eine Scheinbeschäftigung darstellte, so übernimmt sie damit doch eine gesellschaftliche Funktion.

..und was veränderte sich durch den Kapitalismus?

Die Einführung von Geld führt nun zu unterschiedlichen Problemen. Insbesondere entsteht ein Konflikt der sozialisierten Werte und der neuen Art zu Denken, um in der neuen Welt zu bestehen. Worte wie „Besitzgemeinschaften“ oder „Kredit“ hatten für die Kabylen vorher keine Bedeutung. Was in unserem Erleben eine scheinbar natürliche Form einnimmt, klärt sich mit der Gegenüberstellung einer anderen Logik des wirtschaftlichen Handelns als kulturelles Wissen. Geld führte in der kapitalistischen Logik des Wirtschaftens zu einer Hierarchisierung von Bedürfnissen. Folgen waren zunehmende Verarmung, insbesondere veränderte Familienstrukturen, die den Bedingungen der zunehmenden Armut kaum standhalten konnten. Neu und an die Veränderungen gekoppelt war damit auch die Problematik „arbeitslos“ sein zu können. Auch diese Wirkung führte zu weitreichenden Veränderungen in der Gesellschaft, wie zum Beispiel zum Ausschluss derjenigen, die die „zwei Gesichter der Arbeit“ versuchten miteinander zu verbinden.

Wie eingangs bereits erwähnt, waren diese Untersuchungen die Basis für das Konzept des Habitus. Durch habitualisiertes Handeln ist das Bestehen innerhalb eines Systems möglich. Der Habitus ist eine Körper gewordene Sprache, eine gesellschaftliche Prägung. Die Art des Handelns, wie die beim Gabentausch ist bei den Kabylen institutionalisiert. Die Hierarchisierung von Bedürfnissen allerdings nicht. Das fehlende Anpassungsvermögen, der fehlende Habitus, hatte die Verelendung großer Teile der Bevölkerung zur Folge. Bei näherer Untersuchung insbesondere der Arbeitslosigkeit entdeckte Bourdieu Reproduktionsmechanismen wieder, die die Kabylen davon abhielten in der neuen Gesellschaft Fuß zu fassen. Die Perspektivlosigkeit führt zu Lethargie. Motive um zu Handeln befinden sich auf einer niedrigen Basis, es findet nur wenig Veränderung statt.

Transfer zu heute?

Ein Bericht über einen griechischen Arzt ist ein spannendes Beispiel für die beiden Funktionen. In unserer Gesellschaft dient Arbeit vorrangig dem Erwerbszweck, aber Arbeit hat zwei Gesichter. Die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen streift dabei die Thematik der gesellschaftlichen Funktion von Arbeit. Argumente und Gegenargumente lassen sich zahlreiche finden, Bourdieu zeigt aber auch auf, wie wichtig die Habitualisierung eines Systems ist. Es kann nicht von außen aufgestülpt werden und erfordert gesellschaftliche Legitimierung.

..und wo ist hier die Anwendung?

To put it all in a Seashell: Das ASC Institut möchte eine Verbindung zwischen soziologischen Erkenntnissen und methodischen Anwendungsmöglichkeiten durch Coaching herstellen.

Die Konfrontation einer Reflexion des wirtschaftlichen Handelns als kulturell erlernt und damit nicht „natürlich“ erschüttert die Wahrnehmung von Logik gesellschaftlichen Erlebens. Innerhalb einer geschlossenen Logik, lässt sich manchmal keine Lösung finden. Bourdieus Studien ermöglichen eine Reflexion der Funktion von Arbeit und Reflexion ist ein wesentlicher Teil des Coachingprozess. Eine praktische Anwendung bildet auch die hypothetische Wunderfrage ab: Was würdest du machen, wenn Geld keine Rolle spielt/ Was würdest du machen wenn es sicher nicht schief gehen kann? Die Möglichkeit „Outside-the-Box“ zu Denken ergibt häufig ungeahnte und geniale Lösungsmuster, die sich innerhalb der bestehenden Logik nicht ergeben.

Zum Nach- & Weiterlesen:

Bourdieu, Pierre (2000): Die zwei Gesichter der Arbeit: Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft. Konstanz: UVK.


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